Korsika ! - Unvermittelt denkt man an Piraten und Korsaren, an blutige Überfälle auf offener See und gekaperte Schiffe...
Doch wer heute mit der Fähre die Insel im Mittelmeer erreicht, wird kaum auf die Spuren einstiger Untaten treffen. Der Besucher, der im Hafen von Bastia an Land geht, wird friedlichen Menschen begegnen, die sich als eigenes Volk verstehen, wird eine grandiose, wilde Landschaft vorfinden und auf Zeugnisse vergangener Kulturen stoßen.
Im 'Vieux Port', dem alten Hafen von Bastia, dessen Häuserfront von der barocken Fassade der Kirche St.-Jean-Baptist überragt wird, laufen heute keine Piratenschiffe mehr ein. Stolze Yachten und bunte Fischerboote sind längst an ihre Stelle getreten. In den engen Gassen der Altstadt von Bastia spürt man noch ein wenig von dem italienischen Flair, das die Genueser seit der Gründung der Stadt hinterlassen haben.
Wie der ausgestreckte Daumen einer geballten Faust ragt das Cap Corse, der nördlichste Teil der Insel, ins Meer. Eine kurvenreiche Straße folgt dem Lauf der Küste. Sie führt an dem auf einer felsigen Landzunge gelegenen kleinen Fischerdorf Erbalunga vorbei zur nördlichsten Spitze Korsikas mit seiner vorgelagerten Insel Giraglia.
An der Westküste erhebt sich der mittelalterliche Ort Nonza auf einem schmalen Felsvorsprung über den Klippen des Meeres. Durch das Teufelsloch blickt man hinunter auf den schwarzgrünen Kieselstrand.
In einer von Berghügeln umrahmten Bucht liegt die kleine Hafenstadt Calvi, die von einer Zitadelle überragt wird. Von hier aus begannen einst die Genueser die Insel Korsika zu erobern. Hinter den Mauern der Zitadelle soll der berühmte Seefahrer Christophe Kolumbus das Licht der Welt erblickt haben. Der Ort mit seiner hübschen Promenade am Jachthafen wird heute vor allem von Touristen besucht. Das letzten Licht der Abendsonne verzaubert Stadt und Meer... Wenn die Nacht ihren Schatten ausbreitet, dann beginnt das Leben im Hafenviertel und in den Gassen der Altstadt.
Von Ile-Rousse, der roten Insel, die förmlich im Mittelmeer zu schweben scheint, führt eine schmale Fahrstraße ins bergige Hinterland der Balagne. Die Dörfer kleben hier an den Hängen der Berge und die Zeit scheint stillzustehen. Als 'Garten Korsikas' wurde die Balagne schon von den Genuesern bezeichnet. Durch das günstige Klima in den Bergtälern konnte sich eine üppige Vegetation entfalten.
Von den Hügeln der Balagne führt uns der Weg an der zerklüfteten Westküste entlang - nach Porto. Der einstige Fischerhafen ist heute Urlauberdomizil geworden. Beliebt sind vor allem Bootsfahrten an der felsigen Küste vorbei zum Naturreservat La Scandola mit seinen eindrucksvollen rotbraunen Porphyrklippen. Das ganze Gebiet, das nur vom Meer aus erreicht werden kann, wurde unter und über Wasser unter Schutz gestellt.
Aber auch Ausflüge ins Gebirge sind lohnenswert. Man trifft hier auf die umherstreunenden Kreuzungen von Wild- und Hausschweinen, deren Fleisch einen vorzüglichen Schinken liefert.
Bei der Weiterfahrt durchqueren wir südlich von Porto die fantastischen Felslandschaften der Calanche von Piana. Die Erosion hat hier aus dem rotbraunen Granit bizarre Gesteinsformationen geschaffen, die mitunter an Tier- oder Menschen-gestalten erinnern und die sich aus dem tiefen Blau des Meeres in den azurfarbenen Himmel erheben. Eine Straße schlängelt sich durch die engen Felsen hoch über den Klippen am Abgrund vorbei und bietet immer wieder faszinierende Ausblicke auf die eindrucksvolle Naturszenerie.
Als 'Gebirge im Meer' wird Korsika deshalb zu Recht oft bezeichnet !
In einer breiten Bucht erstreckt sich Ajaccio, die Inselhauptstadt, von der Küste aus bis in die umliegenden Berge. Ein kleiner Fischerhafen bestimmt vom Meer her das Gesicht der Stadt.
Ajaccio – das ist aber vor allem die Stadt Napoléons ! Quai Napoléon, Cours Napoléon, Rue Bonaparte... es gibt kaum einen Platz oder eine Straße, die nicht mit dem Namen des berühmten Eroberers verbunden ist. In einem Haus an der Place Letizia erblickte Napoléon im Jahre 1769 das Licht der Welt.
Obwohl Ajaccio kommerzielle und politische Metropole Korsikas ist, hat sich der Ort in seinen Straßen und Gassen, auf den Boulevards und Plätzen, seinen liebenswerten mediterranen Charme erhalten können. Auf dem wöchentlich stattfindenden Markt in der Altstadt kann man, neben Wein und Olivenöl, vor allem eines kaufen: den schmackhaften korsischen Schinken, den die halbwilden Hausschweine liefern.
Südlich von Ajaccio, inmitten einer grünen fruchtbaren Hügellandschaft, befinden sich die prähistorischen Fundstätten von Filitosa, eine der ältesten Korsikas. Die hier gefundenen bis zu 6000 Jahre alten rätselhaften Menhir-Statuen sind als stumme Zeugen möglicherweise der Schlüssel zum Verständnis einer längst vergangenen eigenständigen Inselkultur.
Sartène – die korsischste aller korsischen Städte – erstreckt sich wie eine Festung an den Hängen des Gebirges. Ein Hauch von Mittelalter weht durch die engen Gassen der Altstadt, mit ihren schmalen Treppen und finsteren Hinterhöfen, die noch heute von einer hohen Mauer umgeben ist. Sartène galt als Hochburg der Vendetta, der Blutrache, die in Korsika bis ins 19. Jahrhundert weit verbreitet war. Auf Grabinschriften der Friedhöfe liest man immer wieder Hinweise auf jüngst tragisch Verunglückte. Verkehrsschilder dienen als Zielscheibe für Schießübungen.
Von Sartène aus führt der Weg nun durch ausgedehnte Korkeichenwälder. Die Rinde der Bäume wird regelmäßig geschält und zu Flaschenkork, Dichtungs- und Dekorationsmaterial verarbeitet.
Am südlichsten Zipfel der Insel erreichen wir schließlich Bonifacio, eine der eindrucksvollsten Städte Korsikas, deren Silhouette von der imposanten Zitadelle bestimmt wird. Im Schutze einer tiefen Bucht liegt der einstige Fischerhafen, in dem heute moderne Jachten ihre Liegeplätze haben. Der eigentliche Ort jedoch befindet sich auf einem 60m hohen Kalksteinplateau mit steilen, teilweise überhängenden Felswänden, die der stetigen Erosion von Wind und Meer ausgesetzt sind. Durch das Tor der Zitadelle gelangt man in die im 9.Jahrhundert von dem toskanischen Grafen Bonifacio II. gegründete Oberstadt mit ihrem Gewirr aus engen Gassen und steilen Treppen, hohen Häusern und kleinen Plätzen. Das Dunkel der Nacht breitet seinen geheimnisvollen Schatten über die Stadt !
Auf Korsika gibt es nicht nur Sonnenschein. Besonders im küstennahen Gebirge ballen sich die Wolken oft plötzlich zu heftigen Unwettern zusammen.
Das Bavella-Massiv mit der schroffen Felswand der 'Aiguilles de Bavella' erreichen wir nach kurzer Fahrt vom Süden aus auf einer kurvenreichen Gebirgsstraße. Es liegt inmitten des korsischen Nationalparks in über 1.200m Höhe und ist ein beliebtes Wanderparadies.
Die Gebirgsflüsse Korsikas trocknen auch im Sommer nicht aus und so stürzen sich an vielen Stellen imposante Wasserfälle in die Tiefe. Die 'Cascade du Voile de la Mariée', der Brautschleierwasserfall, ist mit 150m der höchste von ihnen.
Eine von den Genuesern vor mehreren Hundert Jahren errichtete Bogenbrücke überspannt den Fluß Tavignano. Sie führt weiter ins gebirgige Innere der Insel und trägt noch heute den modernen Fahrzeugverkehr.
Nach wenigen Kilometern erreichen wir Corte, die historische und geistige Hauptstadt Korsikas.
Auf einem Felssporn über dem Tavignano wurde 1420 die Zitadelle errichtet. Aufständische korsische Truppen erhoben sich hier gegen die genuesische Fremdherrschaft und gründeten unter Pasquale Paoli im Jahre 1755 eine eigene 'korsische Nation'. Die Einschüsse der Kugeln am Haus des General Gaffori künden noch heute vom erbitterten Freiheitskampf der Korsen gegen die feindlichen Genueser. Auf Pasquale Paoli geht auch die Gründung der einzigen Universität in Korsika zurück. Sie ist heute noch oft Ausgangspunkt für die korsisch-nationalistische Unabhängigkeitsbewegung.
Corte liegt inmitten einer faszinierenden Gebirgsregion. Ein steiler Aufstieg führt zum Lac de Melo in 1.700m Höhe.
Endlose Kastanienwälder auf grünen Hügelkuppen, die sich vor dem blauen Dunst der Ferne abheben und durch die sich nicht enden wollende schmale Straßen und Wege schlängeln, bestimmen im Nordosten der Insel das Bild der Landschaft. Wir sind in der Castagniccia, dem größten geschlossenen Waldgebiet Korsikas. Der Anbau von Kastanien wurde von den Genuesern eingeführt. Die Früchte dienten den Bauern als Viehfutter und Nahrungsmittel für den Winter und haben heute an Bedeutung verloren.
Auf den Höhen der Berge erstrecken sich immer wieder Ortschaften, deren tristes Grau sich vom Blau des Himmels oder dem Grün der Wälder abhebt und die einstige Kargheit des Lebens der Bewohner widerspiegelt. In dem früher schwer zugänglichen Bergland hat sich das ursprüngliche ländliche Leben der Menschen weitestgehend erhalten können. Autofahrer teilen sich die engen Straßen oft mit Viehherden.
Aus den dunklen Wäldern der Castagniccia fahren wir nun wieder hinunter zur flachen Küstenebene. Ein Gewitter zieht auf ! Doch es vergeht so schnell wie es gekommen ist.
Korsika – Vergangenheit und Gegenwart,
Meer und Gebirge – eine Insel, ein Land liegt hinter uns ! Im Hafen von Bastia läuft gerade ein Fährschiff ein. Wenn die Abendsonne im Meer versunken ist, kehren auch wir wieder nach Hause zurück. Aus dem Land, das ein Dichter einst so beschrieb:
La Corse – sauvage et belle ! Si proche au bout du monde....
Korsika – wild und schön ! Am Ende der Welt und doch so nah...