Reziprozitätsverhalten

Wer sich schon in analogen Zeiten mit der Fotografie beschäftigt hat, kennt das Problem: Bei Langzeitbelichtungen treten Abweichungen von der Beziehung
auf, wobei "I" für die Belichtungsintensität und "t" für die Belichtungszeit steht. Bei niedrigen Belichtungsintensitäten, z.B. in der Astronomie, kann deshalb die Belichtungszeit nicht nach o.g. Formel berechnet werden. Oft wird dafür ein "Reziprozitätsfehler" verantwortlich gemacht. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Fehler, sondern um ein ganz normales (foto)chemisches Reaktions-verhalten.
Beim Belichten werden im Silberhalogenidkristall Elektronen freigesetzt, die in einem mehrstufigen, über instabile Zwischenstufen verlaufenden Prozess, zur Entstehung des latenten Bildes führen. Dabei ist die Geschwindigkeit der Bildungsreaktion, d.h. der Entstehung des latenten Bildes, von der eingestrahlten Energiemenge (Licht) abhängig, während die Zerfallsreaktion der instabilen Stufen immer mit gleicher Geschwindigkeit abläuft. Bei niedrigen Intensitäten zerfallen somit mehr Zwischenprodukte und die Ausbeute des latenten Bildes verringert sich. Die o.g. Formel muss deshalb um einen Exponenten "p", den Schwarzschildexponenten (genannt nach dem Entdecker der Reziprozitätsabweichung) erweitert werden:

Nun stellt sich die Frage, ob eine derartige Abweichung, die eine erhebliche Belichtungszeitverlängerung z.B. bei Aufnahmen des Sternenhimmels erfordern würde, auch bei digitalen Kameras auftritt. Die Hersteller halten sich mit Aussagen dazu bedeckt und verweisen auf fotophysikalische Mechanismen, die mit den fotochemischen Vorgängen in der Filmschicht nicht vergleichbar sind. Untersuchungen dazu findet man aber kaum.

Ein einfacher Anwendungstest soll deshalb klären, ob bei Digitalkameras in der Praxis eine Reziprozitätsabweichung bei langen Expositionszeiten auftritt. Dazu wurde eine Grautafel, bei gleicher Blendeneinstellung, mit steigenden, jeweils doppelten Belichtungszeiten und entsprechend halbierten Empfindlichkeits-einstellungen belichtet, so dass nach obiger Formel I x t = const. ist. (Bild 1)
Um niedrige Lichtintensitäten für lange Belichtungszeiten zu erzeugen, wurde ein Neutralgraufilter mit D=3,0 eingesetzt. Bei einer Reziprozitätsabweichung müssten die Graufelder immer dunkler werden. (Bilder bitte scrollen)


Bild 1  Grautafelbelichtung - 100% Ausschnitt - mit  I x t = const.  
          (Bild bitte scrollen)


Der Vollständigkeit halber wurde noch eine Testreihe mit Belichtungszeiten im Kurzzeitbereich (<1 sec) angefertigt. Bei gleicher ISO-Einstellung wurde die Expositionsdauer verdoppelt und die Blendenöffnung jeweils halbiert, so dass auch hier wieder I x t = const. gilt.


Bild 2  Grautafelbelichtung - 100% Ausschnitt - mit  I x t = const.  


Fazit:  Abgesehen von den extremen Unterschieden im Bildrauschen (Bild 1), was den Einstellungen der Empfindlichkeit geschuldet ist, sind in beiden Bildern keine signifikanten Unterschiede in der Helligkeit zu erkennen. Das bedeutet, dass es bei Digitalkameras keine praxisrelevante Abweichung von der Reziprozitätsregel gibt. Man könnte auch sagen, dass der Schwarzschildexponent p = 1,0 ist, was jedoch nur von theoretischem Interesse ist.

      Bild 3  Langzeitbelichtung 30sec



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